Nahezu täglich bekomme ich Manuskripte, mit der Bitte um meine »ehrliche« Meinung. Mittlerweile kann ich sagen, dass kaum ein Autor wirklich an meiner Meinung interessiert ist. Der Autor will nur eines hören oder lesen: »Das Manuskript ist gut/prima/exzellent.«
Gute Manuskripte sind rar. Das ist schade, denn ich würde mich freuen, mehr exzellente Manuskripte auf den Tisch bzw. Bildschirm zu bekommen.
Kostenlose Manuskriptprüfung?
Viele Autoren, die – ohne es mit mir abzusprechen – ein Manuskript schicken, gehen davon aus, dass ich ihrem Werk erst meine Aufmerksamkeit schenke und mir dann die Mühe mache/Zeit nehme, meine Beurteilung zu formulieren.
All das natürlich ohne Honorar.
Wer zum Anwalt geht, beispielsweise, bezahlt ein Beratungshonorar. Das gilt für alle Dienstleistungsberufe: Wer etwas leistet, berechnet dafür ein Honorar.
Warum also kommen manche Autoren (und es sind nicht wenige) auf die Idee, eine Manuskriptprüfung sei honorarfrei? Ich weiß es nicht. Das ist die eine Sache.
Trugschluss Nr. 1
Die andere Sache ist, dass Autoren oft sauer sind, wenn ich Verbesserungen vorschlage, also Kritik übe. Wenn ich das mache, sage ich immer, was mir nicht gefällt, und ich sage auch, warum es mir nicht gefällt bzw. was geändert/verbessert werden sollte. Das bedeutet meist, dass Arbeit ins Haus steht – für den Autor. Da Autoren aber dazu neigen, in ihr Manuskript verliebt zu sein wie ein Primaner in seine erste Angebetete, hegen die meisten eine abgrundtiefe Abneigung gegen meine Empfehlung, es zu überarbeiten. Denn sie meinen, nach dem Setzen des letzten Punktes sei ihre Arbeit getan. Der »Rest« sei Sache des Lektors.
Genau das ist ein Trugschluss. Das Überarbeiten eines Manuskriptes ist in erster Linie Sache des Autors. Und meine persönliche Erfahrung ist, dass eine Überarbeitung nicht reicht; eine zweite ist auf alle Fälle anzuraten; eine dritte kann auch nicht schaden. Erst wenn der Autor sein Bestes gegeben hat, ist der Lektor an der Reihe.
Fehler über Fehler
Den meisten Manuskripten sehe ich auf den ersten Blick schon an, dass keine Überarbeitung stattgefunden hat. Zum Beispiel dann, wenn sie von Fehlern nur so strotzen: Tippfehler ohne Ende, das statt dass – und umgekehrt (sehr häufiger Fehler), falsch gesetzte oder fehlende Kommas, Grammatik- und Rechtschreibfehler. Um nur ein paar der typischen Fehler zu nennen.
Und damit sind wir schon beim zweiten Trugschluss.
Trugschluss Nr. 2
Fehler zu eliminieren, ist nicht Aufgabe des Lektors, sondern die des Korrektors! Wobei ich bei meiner Lektoratsarbeit auch Fehler korrigiere – als Service für den Autor sozusagen. Trotzdem oder gerade deshalb ist es Aufgabe des Autors, sein Manuskript akribisch nach Fehlern zu untersuchen und sie zu korrigieren.
Alle lektorierten Texte sollten übrigens vor dem Buchsatz noch einmal Korrektur gelesen werden, denn ein Lektor ist bei seiner Arbeit normalerweise so in den Text vertieft, dass er definitiv nicht alle Fehler aufspürt. Leider ist es ein Fakt, dass auch ein noch so aufmerksamer Korrekturleser vermutlich nicht alle Fehler findet. Denn es gilt der Satz, der ein befreundeter Verleger vor einiger Zeit gesagt hat: »Ein Buch ohne Fehler ist ein Mythos.« Leider hat er recht, denn der Fehlerteufel ist ein tückischer Bursche. Das liegt daran, dass das menschliche Gehirn einen Text in erster Linie verstehen will. Deshalb kann es auch einen Text wie den nachstehend abgebildeten verstehen – obwohl er von Fehlern nur so wimmelt.
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Rechtschreibprüfung
Viele Autoren schreiben ihre Manuskripte mit WORD. Dieses Programm hat auch eine Rechtschreibprüfung. Die ist zwar miserabel, aber die gröbsten Fehler findet sie zumindest. Ich empfehle deshalb „Language Tool“, das ist eine kostenlose Internet-Software zur Rechtschreib- und Grammatikprüfung, und sie arbeitet erstaunlich gut!
Der Autor sollte sich also die »Mühe« machen, sein Manuskript erst mal durch diese Rechtschreibprüfung laufen zu lassen, bevor er es einem Lektor übergibt.
Trockendusche?
Wenn ich so ein (nicht überarbeitetes) Manuskript angeschaut und dem Autor mitgeteilt habe, dass er es doch bitte sehr überarbeiten möge, stoße ich meist auf taube bzw. beleidigte Ohren. Von wegen »Ich bitte um Ihre ehrliche Meinung …«
Mein Fazit lautet deshalb: Die wenigsten Autoren möchten (m)eine ehrliche Meinung hören. Die meisten möchten lieber gebauchpinselt werden – ganz nach dem Motto: Dusch mich, aber mach mich nicht nass.
Man kann zwar mit aufgespanntem Regenschirm duschen, aber das Ergebnis dürfte nicht allzu befriedigend sein. Ähnlich verhält es sich mit einem Manuskript, das nicht kritisch und aufrichtig bewertet wird. Davon hat nämlich niemand was. Weder der Autor noch der Lektor, geschweige denn der spätere Leser.
Meine Erfahrung: Kaum ein Autor will eine ehrliche Meinung hören.
Da ist zum Beispiel der Autor, der nach meiner Empfehlung, das Manuskript intensiv zu überarbeiten, schreibt: »Mein Manuskript wurde bereits von einem Fachmann lektoriert.« Dazu kann ich nur sagen: »Wenn dieses Manuskript tatsächlich lektoriert wurde – dann auf keinen Fall von einem Lektor, der sein Handwerk beherrscht.«
Anmerkung: Zu meiner Erfahrung mit lektorierten Manuskripten habe ich einen separaten Artikel geschrieben.
Da ist die Autorin, 16 Jahre jung, der ich empfehle, ihre »flapsigen« Formulierungen zu überarbeiten. Antwort: »Das ist mein Schreibstil … und an dem werde ich nichts ändern.« Ich kann verstehen, dass eine 16-Jährige Verbesserungsvorschläge als negative Kritik auffasst, aber es nutzt nichts, wenn ich ihr Honig um den Mund schmiere. Wenn ein Teenager einen Roman verfasst, so hat er meine Hochachtung. Aber diese Leistung allein ist kein Garant für literarische Qualität. Qualität bedeutet: Talent + Fleiß. Eines von beiden reicht nicht. Nur in der Kombination entsteht ein gutes Buch.
Erfreulicherweise gibt es auch andere Erfahrungen. Das Manuskript einer anderen Autorin konnte ich ebenfalls nicht loben. Und ich habe auch gesagt, warum. Erfreulicherweise war sie nicht beleidigt, sondern nahm meine Kritik als Anregung, »eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen«. Damit meinte sie, das Manuskript in die Tonne zu treten und den Roman neu zu schreiben.
So unterschiedlich sind Autoren, und nur mit den selbstkritischen kann ich zusammenarbeiten. Beleidigte Mimosen sind nicht bereit zum konstruktiven Dialog. Doch genau der ist Voraussetzung für ein »gutes« Buch. Was immer »gut« auch heißen mag.
Ein Manuskript neu zu schreiben, ist in manchen Fällen übrigens besser und geht meist auch schneller, als das Manuskript komplett zu überarbeiten.
Alles in allem: Für meine Arbeit berechne ich Honorar
Um Manuskript zu prüfen, ist Know-how und Zeit erforderlich.
Wenn ich mich (mindestens) eine Stunde mit einem Manuskript beschäftige, beträgt das Honorar: EUR 150,00 + MwSt.
Wichtig: Um ein Manuskript zu prüfen, benötige zusätzlich ein Exposé.
Danke für dieses Statement und danke für diesen Blog! Immerhin hat er mich davor bewahrt, meinen Glauben an die aktuellen Dienstleister in Sachen Literatur ins Uferlose hinabstürzen zu lassen. Aber auch meine Erfahrungen mit „learning the hard way“ bei einer Anbieterin (3000,00 Euro für ein Korrektorat/Lektorat, das nicht erfolgte) hatten etwas Gutes: Sie brachten mich nicht nur dazu, die Veröffentlichung meines Manuskripts aufzugeben, sondern endlich einmal über das ganze Drumherum nachzudenken: warum überhaupt …? Es waren genau die von Ihnen aufgezeigten Punkte, vor allem: Eitelkeit! Und diese Eitelkeit gehört nun mal zu einem Konvolut von Emotionen, die uns dazu verleiten, Geschichten zu schreiben und dann die diplomatischen Fähigkeiten derer strapaziert, die sich mit dem Schreiben auskennen. Ich selbst lese immer noch gerne und bin froh, dass ich in meinem vergangenen Berufsleben etwas anderes gemacht habe, als zu schreiben. Sonst wäre ich wohl verhungert. Aber es sind eben Emotionen, die uns lesen und schreiben lassen … vielleicht sind Emotionen gar das Wichtigste, was wir haben! Von Hölderlin stammt der Satz: Unser Herz hält die Liebe zur Menschheit nicht aus, wenn es nicht auch Menschen gibt, die es liebt! … vielleicht ist es mit der Literatur und Büchern genauso …
Danke für Ihren Kommentar, lieber Herr Hartung! Ich denke auch, dass Emotionen das Wichtigste sind, was wir haben. Wir müssen nur lernen, damit umzugehen. Das bedeutet: sie zu verstehen bzw. einzuordnen. Wenn uns das gelingt, können sie uns viel erzählen und wir können daraus lernen.
Allerdings ist Selbsterkenntnis/Selbstkritik eine sehr schwierige Angelegenheit – ich weiß, wovon ich rede.