Unser Gehirn überliest Tippfehler aus verschiedenen Gründen, darunter:
Kontext und Vorhersage: Das menschliche Gehirn ist darauf programmiert, Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Beim Lesen sucht es nach erwarteten Wörtern und Sätzen. Es neigt dazu, Wörter in einem bekannten Kontext zu rekonstruieren, selbst wenn Buchstaben ausgetauscht oder weggelassen wurden. Dadurch können Tippfehler leicht übersehen werden. Selbst einen mit Text mit völlig verdrehten Buchstaben können wir lesen/verstehen.
Anschauliches Beispiel:
Automatische Korrektur: Beim Lesen korrigieren wir Fehler oft unbewusst, indem wir die korrekte Version eines Wortes in unserem inneren „Wörterbuch“ verwenden. Wir nehmen die Wörter also so wahr, als seien sie richtig geschrieben.
Gewohnheit und Erfahrung: Wir sind es gewohnt, Wörter in einer bestimmten Weise zu sehen, und unser Gehirn neigt dazu, auf Grundlage unserer Lesegewohnheiten zu arbeiten. Wenn wir ein Wort immer wieder mit einem Tippfehler sehen, gewöhnen wir uns an diese Schreibweise, was es schwerer macht, den Fehler zu erkennen.
Schnelles Lesen: Beim schnellen Lesen überfliegen wir oft Texte und fokussieren uns auf das Verstehen des Inhalts, anstatt jedes einzelne Wort sorgfältig zu überprüfen. Dadurch sind wir anfälliger für das Übersehen von Tippfehlern. Am besten wäre, einen Text laut zu lesen, aber das dauert halt deutlich länger als stummes Lesen.
Ermüdung und Ablenkung: Ermüdung und Ablenkung führen dazu, dass wir weniger aufmerksam lesen. In solchen Zuständen sind wir eher geneigt, Tippfehler zu übersehen, da unsere geistige Energie auf andere Dinge gerichtet ist. Korrekturlesen sollte man also nur dann, wenn man fit und ausgeschlafen ist.
Psychologische Aspekte: In manchen Fällen übersehen wir Tippfehler aufgrund psychologischer Faktoren, wie etwa die Unfähigkeit, eigene Fehler wahrzunehmen. Das Selbstkorrekturvermögen unseres Gehirns führt dann dazu, dass wir unsere eigenen Fehler übersehen.
Wortlänge und Satzzusammenhang: Tippfehler in längeren Wörtern sind oft schwerer zu entdecken, da unser Gehirn eher auf kürzere und häufig vorkommende Wörter achtet. Ansonsten kann der Zusammenhang eines Satzes die Wahrnehmung von Tippfehlern beeinflussen, da unser Gehirn den Sinn des Satzes rekonstruiert und eventuelle Unstimmigkeiten übersieht.
Fazit: Unser Gehirn ist genial. So genial, dass es beim Lesen von Texten Fehler großzügig übersieht und vorrangig damit beschäftigt ist, den Text zu verstehen. Beim zur Unterhaltung gedachten Lesen ist das wunderbar, beim Lektorieren/Korrigieren ist genau das Gegenteil der Fall: Es ist ärgerlich. Denn da passiert es zum Beispiel, dass das Wort „Chlor“ im Zusammenhang mit einem Gesang übersehen wird. Und genau das ist mir neulich passiert. Ich war so auf den Inhalt des Satzes konzentriert, dass mir das überflüssige L nicht aufgefallen ist, denn selbstverständlich sollte es „Chor“ und nicht „Chlor“ heißen. Erfreulicherweise ist meine Korrekturleserin darüber gestolpert …
Als ich vor einiger Zeit mit einem befreundeten Verleger über dieses Thema sprach, sagte er: „Ein Buch ohne Fehler ist ein Mythos.“ Ich gebe ihm recht, denn in jedem Buch, das ich lese, entdecke ich Fehler, auch dann, wenn ich gar nicht nach ihnen suche.
So auch gestern, und da fand ich einen wirklich amüsanten Fehler: An einer Lampe hingen Trottel(n).
Die Vorstellung, dass alle Trottel dieser Welt an Lampen aufgeknüpft werden, finde ich auf gewisse Weise verlockend, aber in diesem Fall waren wohl Troddeln gemeint. Man nennt sie auch Quasten, Bommel oder Puschel/Püschel. Das sind Ziergegenstände, die an allen möglichen Gegenständen baumeln: Vorhängen, Kissen, Uniformen, Trompeten etc. Und eben auch an Lampen.
🙂