Schusterjunge und Hurenkind

Arme Gesellen beim Buchsatz: Schusterjunge und Hurenkind

Schusterjunge

Ist die erste Zeile eines Absatzes zugleich die letzte Zeile einer Buchseite, so nennt man das »Schusterjunge«.

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Schusterjunge – einsame Zeile am Seitenende

Hurenkind

Steht die letzte Zeile eines Absatzes als erste Zeile auf einer Buchseite, so nennt man das »Hurenkind«.

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Hurenkind – einsame Zeile am Seitenanfang
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Hurenkind – korrigiert


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Fehler im Buchsatz korrigieren

In der Typografie gelten Schusterjungen und Hurenkinder als gravierende Fehler, die unbedingt vermieden bzw. korrigiert werden müssen. Sie ergeben ein unschönes Schriftbild und stören den Lesefluss. Man eliminiert sie durch:

Ändern der Laufweite

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hurenkind

Manchmal (aber nicht immer) bewirkt eine minimale Änderung der Laufweite (vergrößern oder verkleinern) einen neuen Umbruch der Zeilen, weil das Designprogramm normalerweise so eingestellt ist, dass durch eine Korrektur jeglicher Art der gesamte Absatz neu umbrochen wird. Wörter werden also an anderer Stelle getrennt oder gar nicht getrennt. Kommt immer auf den Text an.

Wichtig ist der sogenannte Grauwert. Der Grauwert einer Buchseite beschreibt den Anteil von schwarzem Pigment auf einer Seite im Vergleich zu weißem Hintergrund. Größere Lücken im Text sollten also vermieden werden, weil sie den Grauwert verringern. Außerdem sehen sie nicht schön aus …

Ändern des Textes

Nutzt das Ändern der Laufweite nichts, muss versucht werden, am Text etwas zu ändern, ein Wort zu streichen – oder hinzuzufügen. Synonyme Begriffe mit mehr oder weniger Buchstaben können auch helfen.

hurenkind

Automatische Absatzkontrolle funktioniert bei Büchern nicht

In meinem Satzprogramm InDesign gibt es zwar die sogenannte „Absatzkontrolle“, die Schusterjungen und Hurenkinder vermeidet, indem sie immer zwei Zeilen am Anfang und Ende von Seiten zusammenhält, das führt aber z. B. zu einer fehlenden Zeile am Ende einer Seite. Ergebnis: Die Buchseite hat eine Zeile weniger als sie eigentlich haben sollte. Das liegt an der Registerhaltigkeit, die bei jedem Buch aktiviert/eingestellt sein sollte.

Registerhaltigkeit bedeutet, dass sich alle Zeilen in einem Buch auf derselben Höhe befinden, sie liegen also auf Vorderseite und Rückseite exakt aufeinander. Das ist vor allem bei relativ dünnem Papier wichtig – weil der Text durchs Papier hindurch scheint.

Wird dem aber Programm gesagt, es soll einsame Zeilen am Ende oder Anfang einer Seite vermeiden und immer zwei Zeilen zusammenhalten, fehlt zwangsläufig z. B. die letzte Zeile – damit eben am Ende dieser oder am Anfang der nächsten Seite keine einsame Zeile steht.

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Ergebnis der automatischen Absatzkontrolle von InDesign: Auf der linken Seite fehlt unten eine Zeile.

Manuelle Absatzkontrolle

Bei Schusterjungen und Hurenkindern bleibt also nichts anderes übrig, als die erforderlichen Änderungen manuell vorzunehmen. Das bedeutet: Jede Seite eines Buches (!) muss vom Setzer auf solche fehlerhaften Umbrüche untersucht und korrigiert werden.

Während meines Studiums polterte unser Typografie-Dozent Günter Gerhard Lange, der Typopapst Deutschlands, ein Buch mit Schusterjungen und Hurenkinder sei ein Unding, ein typografisches Verbrechen! In einem professionell gesetzten Buch sei dieses Verbrechen also unbedingt zu vermeiden.

An dieses ungeschriebene Gesetz haben sich Verlage bis vor einiger Zeit gehalten. Doch schon seit etlichen Jahren entdecke ich zumindest die Schusterjungen (also die erste Zeile eines Absatzes am Ende einer Seite) in nahezu allen Büchern – auch in denen renommierter Verlage.

Auch ich nehme mir mittlerweile die Freiheit, nur noch die Hurenkinder auszumerzen. Das allerdings aber mache ich konsequent. In keinem von mir gesetzten Buch gibt es deshalb Hurenkinder. Einfach deshalb, weil ich sie nicht schön finde. Ich empfinde sie schlichtweg als unästhetisch.

Mit den Schusterjungen dagegen gehe ich großzügiger um. Ich versuche zwar, auch sie zu korrigieren – mit den oben beschriebenen Möglichkeiten. Ist das allerdings nur mit größerem Aufwand möglich, lasse ich die Schusterjungen stehen. Und vielleicht gehören die beiden »Typen« grundsätzlich auch ins vergangene Jahrhundert … wäre eine gute Möglichkeit, unter Typo-Experten mal eine Diskussion zu diesem Thema in Gang zu bringen.

4 Kommentare

  1. Danke für die Erklärung, Renate! Jetzt weiß ich, wo ich immer nachschauen, wenn ich den Unterschied wieder mal vergessen habe. Ich kann mir das einfach nicht merken …

    Liebe Grüße von Doris

  2. Liebe Doris,
    da gibt es eine ganz einfache Eselsbrücke:
    Die Hure ist oben (Domina), der Schusterjunge unten (armes unterdrücktes Kerlchen) 😉

    Liebe Grüße
    Renate

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